Die Tage vom 20. bis 23. September 2013 waren für Schüler und Personal der Musikschule Nr. 6 in Gjumri ganz besondere Tage. 25 Jahre nach dem furchtbaren Erdbeben von 1988, das ihre Schule zerstörte hatte, konnte am 20. September die neue Schule feierlich eröffnet werden. Alle, die an dem jahrelangen Projekt mitgewirkt hatten, Geldgeber, Architekten und Bauleute, Politik und Kirche waren zugegen. Die berühmten Musiker von Deep Purple aus England und Australien, John Dee und Ian Gillan, standen natürlich bei Gästen und Presse im Rampenlicht. Sie hatten mit ihrer Rock Aid Armenia Kampagne den Neubau der Schule angestoßen. Mitglieder der Mardigian-Familie hatten über ihre Stiftung einen großzügigen Betrag zugeschossen, der den Erfolg des Projektes sicherstellte. Der armenische Staatspräsident Serge Sargsyan, der Gouverneur der Provinz Schirak Felix Tsolakyan und der Bürgermeister von Gjumri Samuel Balasanyan hatten das ihre dazu beigetragen. Dann hatten sich auch Offizielle des Fund for Armenian Relief (FAR) aus New York und Jerewan mit einer großen Delegation eingestellt. Und selbstverständlich durften Vertreter der armenischen Kirche, wie der Erzbischof aus New York Khajag Barsamian und der Bischof der Diözese Nordarmenien nicht fehlen. Die Baufirma Kanaka hatte natürlich von Anfang an vom Chef Haik Hovivyan bis zu den Arbeitern voll hinter dem ganzen Projekt gestanden; sie hatten es tatsächlich geschafft, die Schule und den Außenbereich, zwar in letzter Minute, aber doch fertig zu stellen. Auf den Gesichtern des Direktors Harutyun Asatryan und seines Lehrpersonals war der ganze Stolz und die Freude über das Erreichte abzulesen. Ein langer Leidensweg mit vielen Entbehrungen ging jetzt zu Ende.
Als der Präsident ankam, hatten sich die örtlichen und internationalen Gäste vor dem wunderschönen, im spätsommerlichen Sonnenlicht erstrahlenden Gebäude schon versammelt. Die städtische Blaskapelle überbrachte den musikalischen Salut. Präsident und Ehrengäste mussten sich den Weg durch die wartenden Journalisten und Kameraleute hindurch bahnen, um endlich das vor dem Eingang gespannte rote Band zu erreichen. Erzbischof Barsamian aus New York sprach seinen Segen, Ian Gillan durchschnitt das Band, und die Tour durch die neuen Räumlichkeiten der Schule konnte beginnen. Danach setzten sich die Feierlichkeiten im Außenbereich fort. Alle waren froh, dass das Wetter glücklicherweise mitspielte. Hier war eine großzügige, stabile Bühne aus Stein und eine Zuschauertribüne entstanden. Die Chor- und Orchestermitglieder der Schule, die noch einen Tag zuvor bis spät in den Abend hinein geprobt hatten, hatten sich herausgeputzt. Alle trugen weiße Hemden und Blusen. Eine Hymne, vom ganzen Orchester mit traditionellen Instrumenten, Duduks und Kanoons, begleitet, wurde von einer Solosängerin und Chor intoniert.
Was dann folgte, war eine sehr bewegende, alles andere als formale Zeremonie. In den Reden wurde natürlich noch einmal an die große Tragödie von 1988 erinnert. Ian Gillan, der in einem langem weißen Hemd und Umhängetasche gekleidet war, sprach leise und trat sehr bescheiden auf. Er ließ noch einmal die Begebenheit lebendig werden, die sein späteres Engagement für die Schule beeinflußt hatte. Er hatte 1990 die Stadt Spitak unweit von Gjumri besucht. Dort traf er auf eine alte Frau, die mit einem Foto in der Hand am Straßenrand saß. Auf dem Foto waren alle 28 Mitglieder ihrer Großfamilie abgebildet, ihre Kinder und Enkel, ihre Nichten und Neffen. Sie alle waren in dem Erbeben umgekommen. ,,Wie konnte man mit so einem Leid umgehen?“ fragte Ian Gillan. ,,Die Zerstörung hatte die ganze Gemeinschaft zum Schweigen gebracht. Es gab keine Musik mehr, weder in den Kirchen noch in den Schulen wurde in jener Zeit musiziert. Es schien, als haben selbst die Vögel aufgehört zu singen...“ Ian Gillan und seine Kollegen wollten das ändern, Musik sollte wieder, gerade in einer solchen Situation erklingen. Und so entstand die Idee Rock Aid Armenia, die mit ihren Benefizkonzerten den Grundstein zum Aufbau einer nagelneuen Musikschule in Gjumri legte.
Im Jahre 2009 nahm das Projekt konkrete Formen an. Die staatliche Hilfsorganisation Fund for Armenian Relief und später die Mardigian-Familie aus den USA hatten genügend Gelder gesammelt und gespendet, so dass das Projekt gelingen konnte. Auch die staatlichen Institutionen hatten Zuschüsse zugesichert und gegeben. Am schwarzen Brett der neuen Schule war eine Fotoausstellung vorbereitet worden, die noch einmal in eindrucksvoller Weise den langen Weg vom Unglückstag des 7. Dezember 1988 bis zum Tag der Freude am 20.9.2013 nachzeichnete. Nur 2 Wochen lang war der Unterricht nach dem Erdbeben unterbrochen worden. Dann wurde er wieder aufgenommen, zunächst in den Privatwohnungen des Lehrpersonals, dann in den provisorisch hochgezogenen Wellblechräumen, in denen noch bis kurz vor den Sommerferien unterrichtet wurde. Ian Gillan wurde vom Direktor der Schule, Harutyan Asatryan, für seine Rolle als Motor des Projekts mit einem großen Portrait geehrt, das ihn vor der Silhouette der neuen Schule und dem Bergmassiv des Aragats zeigt. Das Bild war von Samuel Lajikian, einem Freund der Musikschule in Gjumri, gemalt worden. Der Künstler wurde einen Tag später vom Staatspräsidenten der Republik Armenien mit einem hohen Ehrentitel ausgezeichnet.
Während die Ehrengäste aus Politik und dem Ausland, wie immer umringt vom Tross der Medien, zum nächsten Termin weitereilen mussten, schloss sich auf der Außenbühne ein Konzert der Schüler an. Hier kam das ganze Repertoire zum Vortrag, das an der Schule gelehrt wird. Das große Orchester mit Chor und Solosängern trug traditionelle armenische Volkslieder vor. Dann folgten Ensemblestücke für die traditionellen Duduk-Flöten und, gespielt von einer Gruppe junger Mädchen, für das Landesinstrument, den Kanoon. Alle Musikbeiträge wurden mit Präzision, Leidenschaft und Freude zum Klingen gebracht. Es folgten Solostücke, jeweils mit Klavierbegleitung, für Saxophon, Geige und Gesang. Dabei konnten zwei inzwischen namhafte Sängerinnen zeigen, welches Niveau die Musikausbildung an der Schule erreicht hat. Lusine Karakelyan hatte in Gjumri an der Musikschule ihre Ausbildung begonnen. Diese konnte sie dann in Jerewan am Konservatorium fortsetzen. Inzwischen ist sie festes Mitglied im Ensemble der Oper der Landeshauptstadt. Leicht und ausdrucksstark gab sie einige Arien aus Puccini-Opern zum Besten. Ganz so weit hat es Klara Alikhanyan noch nicht gebracht, aber sie ist mit ihrer wunderschönen Mezzosopranstimme auf dem besten Weg dahin. Diese konnte sie mit ihrem Vortrag des Ave Maria voll zur Geltung bringen. Sie hat ihr Diplom abgeschlossen, studiert jetzt Deutsch und möchte ihre Meisterprüfung im Gesang, wenn irgend möglich, in Deutschland ablegen.
Da das Konzert im Freien stattfand, konnten vor allem auch die Nachbarn der Musikschule das Konzert mit verfolgen. Und so wurde das Ereignis der Schuleinweihung nicht nur ein großer Tag für die Schüler, das Lehrpersonal und ihre Familien, für die Bauleute und Handwerker, sondern auch für den ganzen Stadtteil und die Stadt Gjumri.
Carusel Automatik: Cursor/Maus außerhalb des Bildes stellen.
Carusel Manuelle: Auf die Seitenpfeile oder die weißen Bildindikatoren klicken.
Was für ein Freudentag: Der 23. September 2013 war der erste Schultag nach den langen Sommerferien und gleichzeitig der erste Schultag, der in der neuen Musikschule wenige Tage nach der feierlichen Eröffnung durch den Staatspräsidenten und den Erzbischof stattfand. Für Schüler, Eltern und das Lehrpersonal war er möglicherweise der wichtigere Tag. Denn jetzt konnten sie ihre neue, wunderschöne Schule in Beschlag nehmen. Und das geschah mit großer Freude und in aufgeregt heiterer Stimmung. Schon bald nach Unterrichtsbeginn um 1 Uhr nachmittags war das neue Schulgebäude erfüllt von Klängen aus Flöten, Saxophonen, Klarinetten, von Geigen, Bratschen, Celli und Klavieren.
Und keine Regie der Welt hätte es besser arrangieren können, dass just an diesem Tag auch der neue Blüthner-Flügel für den Vortragssaal der Schule aus Leipzig über Jerewan in Gjumri eintraf. Es war gegen 17:30 Uhr, als ein kleiner Transporter in den Hof der neuen Schule einbog. Im Schulgebäude, in das nach dem ersten Schultag schon Ruhe eingekehrt war, wurde es plötzlich wieder lebendig. Gruppen von Schülern der Schule strömten herbei, mindestens 10 Männer in Arbeitskleidung erschienen wie aus dem Nichts und schon bald rückte auch ein großer Baukran an. Herr Asatryan, der Direktor der Schule, war ganz aus dem Häuschen und sein Gesicht hatte sich vor Aufregung ganz rot gefärbt. Er war also tatsächlich angekommen, der Blüthner-Flügel aus Leipzig: 2500 km Luftlinie auf dem Landweg. Der Frachtbrief an der Holzkiste, in der der Flügel verpackt war, war eindeutig:
Spender: Mirak-Weißbach-Stiftung, Empfänger: Musikschule Nr. 6 in Gjumri, Hersteller: Blüthner-Pianofortefabrik GmbH. Und dann ging alles sehr schnell. Unter der Leitung von Asatryan, seinem Adjutanten und mithilfe des großen Baukrans fand der Flügel seinen Weg auf die Bühne im Vortragssaal der neuen Schule. Richtig ausgepackt wurde aber nicht mehr. Zu Dokumentationszwecken entstanden einige Fotos und natürlich gab es zur Feier des Anlasses einen Imbiss mit obligatorischem Vodka, bzw. Cognac. Dazu kamen die angemessenen Trinksprüche: auf die kulturellen Bande zwischen Deutschland und Armenien, auf die musikalische Brücke Leipzig - Gjumri und auch der Geist der Bach-Stadt Leipzig wurde beschworen.
Für den Direktor der Schule, die er seit über 30 Jahren geleitet hatte, ist ein Traum in Erfüllung gegangen: In der neuen Schule sollte auf der Vortragsbühne ein Blüthner stehen. Das hatte für ihn schon immer festgestanden, denn sie seien die besten Instrumente!
Inzwischen ist der Flügel ausgepackt und steht dort, wo er stehen soll: auf der Bühne im Vortragssaal der neuen Musikschule. Er hat die Reise aus Leipzig unbeschadet überstanden und zum Erstaunen aller war noch nicht einmal ein Nachstimmen notwendig!
In den letzten Wochen haben viele Gäste vorbeigeschaut, vor allem Pianisten und Studenten des Faches Klavier, um das neue Instrument zu bewundern und zu bespielen. Auch Klavierabende und -konzerte sind schon organisiert worden. Und so soll es in den nächsten Wochen weitergehen.